150 Tage, die heiße Phase

Wie viele Wünsche passen in ein Jahr?

Der Gedanke begleitet mich nun bereits 4 Jahre, seit ich mich entschieden habe, weniger Verdienst gegen mehr Freizeit zu tauschen. Als ich von der Möglichkeit eines Sabbatjahres erfuhr, begann ich fieberhaft zu rechnen, ob ich das finanziell bewerkstelligen würde. Heute weiß ich, dass dies geht- vorausgesetzt man ist bereit, auf einigen Luxus und Sicherheiten zu verzichten. Mein Auto wird dieses Jahr volljährig, die pfiffige Oma erspart mir Friseurkosten, ohne Berufsunfähigkeitsversicherung kann man auch arbeiten, ein rostiges 7-Gang-Fahrrad schafft eine 100 km Tour und die Kinder müssen nicht jedes Jahr in den Urlaub fliegen oder teure Markensachen tragen… die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Fazit: Es geht, auch wenn man mit seinem Gehalt für 3 Leute haushalten muss.
Nun liegen nur noch 150 Tage vor mir, bevor ich meine Wunschkiste öffnen darf.

Wunsch Nr.1: Englisch lernen
Ich möchte endlich so gut englisch sprechen können, dass ich mir traue etwas zu sagen und dass ich bei Reisen über mehr als das Essen, den Weg oder das Wetter reden kann. Leider musste ich zu DDR-Zeiten Französisch und Russisch lernen. So habe ich nur englische Fetzen aus dem Alltag aufgeschnappt und diese zu den merkwürdigsten grammatischen Unmöglichkeiten zusammengebastelt. Seit letztem Herbst treffe ich mich regelmäßig mit meiner australischen Tandempartnerin Siobhan. Wir bringen uns gegenseitig unsere Muttersprache bei. Das ist eine effektive Vorbereitung für meine Amerika-Reise und macht richtig Spaß. Jedes Mal soll ich ein anderes deutsches Märchen auf Englisch erzählen, manchmal machen wir eine Radtour, gehen ins Theater oder bummeln.
Am 5.August wird es Ernst in punkto Fremdsprache:
Mit Lotti werde ich 9 Wochen nach Süddakota reisen! Dann müssen und dürfen wir jeden Tag englisch reden, denn außer dem Land werden wir das echte amerikanische Highschool-Leben kennenlernen. Sie als Gastschülerin in einer 9.Klasse und ich als Assistentin der Kunstlehrer. Ich hoffe sehr, dass wir das Pensum von einem Jahr Englischunterricht vielleicht in wenigen Wochen bewältigen und einige Vorurteile zum amerikanischen Schulsystem über Bord werfen können.
Wunsch Nr.2: Computerkenntnisse
Ja, der erfüllt sich momentan schon! Eltern und Computer – viele Kinder schütteln darüber nur den Kopf, können nicht nachvollziehen, wie meine Generation ohne Telefon und Auto großgeworden ist. Plötzlich ging alles ganz schnell. Mein großer Sohn Willi (despo-on-tour@blogspot.com) lebt und arbeitet seit fast einem halben Jahr am anderen Ende der Welt. Wen sollte ich nun fragen, wenn der Computer streikt? Wie chattet man? Was ist ein Blog? Selbst als vorsichtige Mama habe ich mittlerweile vieles prima im Griff und kann mir ein Leben ohne DSL nicht mehr vorstellen. Meine mütterliche Neugier und Sorge hat mich schnell im Netz vorangebracht und lässt mich mit viel Stolz und Vergnügen an Willis verrückten Erlebnissen teilhaben.
Wunsch Nr.3: Reisen
Lehrer müssen in den Ferien reisen, immer wenn die Flüge am teuersten und die Urlaubsorte am vollsten sind. Manche Freunde konnte ich bisher nie besuchen. Das will ich in meinem freien Jahr mit Vergnügen nachholen. Eine Studienfreundin erwartet mich in Litauen, eine ehemalige Kollegin in Belgien, Freunde arbeiten gerade in Venezuela…die Liste wird sicher noch länger.
Wunsch Nr.4: Zeit für die Kunst
Die hatte ich zuletzt während des Studiums. Im Hinterhof liegen Sandsteinblöcke für Skulpturen, auf der Staffelei steht eine vor zwei Jahren begonnene Leinwand und im Keller lagern seit Urzeiten Stoffe zum Nähen. Sicher gab es in den letzten Urlaubszeiten auch kreative Momente. Aber zu wissen, dass man sich eine Woche, einen Monat oder länger in ein Projekt verbeißen kann, ist ein verführerisch freies Gefühl in der Kunst. Welch verrückte Fotos mit einem Scanner möglich sind, habe ich nur in Ansätzen erkunden können (siehe Kalender 2008 am linken Rand).
Die angebotene Mitarbeit als Assistent for Art Teachers an der Highschool wird mich außerdem über den Tellerrand schauen lassen.
Wunsch Nr.5: Gammeln
Ziellos an einem Sommertag an der Elbe entlang bummeln. Im Bett liegen bleiben und ein spannendes Buch sofort zu Ende lesen. Fünfmal in der Woche abends lange weggehen, weil gerade so viel Kultur auf einmal geboten wird und ich früh ausschlafen kann. Und weit und breit ist kein Termin in Sicht, der mich abhalten könnte, dies zu tun.
Wunsch Nr.6: Das nächste freie Jahr organisieren
Das Modell des Sabbatjahres hat seltsamerweise niemand genutzt, den ich kenne. Obwohl es allen Lehrern angeboten wurde, um in Zeiten sinkender Schülerzahlen überflüssige Arbeitskräfte zu sparen. Keine Ahnung, warum sich niemand traut aus dem Arbeitsleben zu entfliehen. Zu wenig Ideen für so viel freie Zeit? Angst vor dem Wiedereinstieg? Verlust von Rentenansprüchen? Der Arbeitsplatz ist jedenfalls sicher. Nun sollen diese Verträge nicht mehr angeboten werden. Aber mittlerweile bin ich zuversichtlich, einen anderen Weg zu finden, um in 5 Jahren Gleiches zu tun.

Als sorgsame Mama war ich 20 Jahre für die Familie da, ging voll arbeiten und tat für den Betrieb meines damaligen Partners in der 2. Schicht auch noch mein Bestes. Meine Arbeit machte ich meist gern, doch vor lauter Aufgaben blickte ich nicht sehr weit. Die Welt ist aber viel größer! Und es gibt immer Alternativen zu dem, was man meint tun zu müssen. Ich bin überzeugt, dass ich die richtige Wahl getroffen habe. Die einen investieren in Wohneigentum, Auto, Urlaubsreisen, Fitness oder Nageldesign. Ich habe mich für LEBENszeit entschieden.
Der Flug nach Amerika ist bereits gebucht.
Mein Schatz wird mich in den zwei Monaten vermissen, doch dank Internet werden wir uns gedanklich nahe sein können. Liebe kennt keine Entfernungen.
Sobald die Reiseplanungen weiter fortgeschritten sind, wird es den nächsten Blogeintrag geben. Lotti und ich sind schon sehr aufgeregt, wie es uns in der Fremde ergehen wird. Nun, so ganz fremd wird es zu Anfang nicht. Eine Woche zum Eingewöhnen werden wir bei Willis ehemaligem Gastpapa Rich in Watertown wohnen, bevor wir uns ein eigenes Domizil suchen.

5 Gedanken zu „150 Tage, die heiße Phase

  1. hier meldet sich dein zweiter zukünftiger stammleser
    herzlichen glückwunsch zum gelungenen anfang !!!
    ich freue mich schon wahnsinnig auf die berichte ab dem 151. tag und auf die fotos von all deinen reisen aber wie ich dich kenne, wird es in der zeit bis dahin auch nicht langweilig werden-I´m sure !

  2. ich finde es in ordnung, das du eine reise in die usa machst, englisch lernst und deine computerkenntnisse erweiterst, das ist normal
    man könnte meinen deine letzten 20. jahre waren schlimm
    hattest du keine: liebe, familie, urlaub, zeit für reisen, keine oase zum gammeln, hat deine familie dich nicht geliebt und geachtet ???
    ich denke du hast ein ganz anderes problem und zwar das was alle mitte vierzig haben, sie denken jetzt muß
    man sich verändern, weil man sich auch äußerlich verändert hat
    kerstin

  3. @Kerstin
    Wieso muss man erst ein Problem haben, um mal(zeitlich begrenzt und gut geplant! !) seinen gewohnten Alltagstrott hinter sich zu lassen ?
    Und übrigens sind die äußerlichen Veränderungen von Kessy minimal, das kann also nicht der Grund für ihre Pläne sein.
    Nicht j e d e Mittvierzigerin, die sich neue Ziele steckt, hat eine negative Vergangenheit oder befindet sich in einer Krise !
    Velia

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