Venezuela –ein Besuch im Sozialismus des 21. Jahrhunderts

„Patria, socialismo o muerte“ (Vaterland, Sozialismus oder Tod) meint Herr Chavez. „Patria, socialismo i muerte“ (Vaterland, Sozialismus und Tod) wiederholte mein Liebster kurz vor unserer Heimreise zur Erheiterung unserer Gastgeber Maik und Maria.
Zwei gegensätzliche Empfindungen hatten wir in den 14 Tagen im sonnigen Venezuela. Atemberaubend schöne Landschaften, herrliches Wetter, eine bezaubernde Tier-und Pflanzenwelt sowie kulinarische Genüsse zogen uns in ihren Bann. Umso tiefer saß der Schock über all die Armut, Unsicherheit vor Gewalt, den Müll und die verfehlte Politik im Land. Ein regelrechtes Kontrastprogramm also. Der Hinflug nach Caracas verlief sehr entspannt und unsere Freunde holten uns vom Flughafen ab. Auf der Fahrt in ihr Wohngebiet wunderten wir uns, warum wir die verdunkelten Autofenster nicht öffnen durften, um die Millionenstadt auf unseren Fotos festzuhalten. Schließlich sahen die Barios (Hangbauten, Slums) spektakulär aus. „Zu gefährlich“ war die Antwort. Große Armut produziert hohe Kriminalität. Ein gemütlicher Abend erweiterte das für uns notwendige Wissen zum sicherheitstauglichen Reisen, denn am nächsten Tag gingen wir zwei 4 Tage allein und ohne Spanischkenntnisse auf Reisen.
Natur pur erlebten wir auf unserem Ausflug ins Naturschutzgebiet Canaima zum höchsten Wasserfall der Erde, dem Salto Angel (fast 1 km hoch). Nach abenteuerlichen Verhandlungen auf dem Flughafen (in Spanisch, denn Englisch spricht kaum jemand) und Diskussionen zur Hotel- und Taxibezahlung (viele Einheimische versuchen die Touris doppelt abzukassieren) hatten wir die Feuertaufe bestanden. Der Flug im 8-Sitzer über Wasserfälle und Tafelberge war ein einmaliges Erlebnis. In Canaima nahm uns Felix in Empfang. Er erklärte unserer 12-köpfigen Gruppe auf Englisch das Programm und bald schon saßen wir mit Schwimmwesten im Einbaum. In rasanter Geschwindigkeit fuhren wir bei Sonnenschein Stromschnellen hinauf, schrammten über Steine, picknickten an einem Wasserfall, badeten und fotografierten wie wild. Der Abend verschaffte uns einen ersten Blick auf den Salto Angel, herrliche gebratene Hühnchen und Hängematten zum Schlafen. Im Morgengrauen schlichen wir zum Fluss und schauten, wie die Sonne die Nebelwolken vertrieb. Mein Liebster kam zu spät zum Frühstück, weil er sich vorher noch mit einem Geier unterhalten musste. Gut gesättigt wanderten wir in feuchter Hitze durch den Regenwald bis zum Fuße des Wasserfalls. Alle Strapazen waren vergessen, sobald man ins erfrischende Nass steigen konnte. Nach dem Rückmarsch hatte man im Basislager schon für uns gekocht und wir hätten nach dem reichlichen Mahl gern noch lange in den Hängematten gedöst. Aber Felix hieß uns packen und in die Boote steigen. Nichtsahnend verstauten wir unsere Sachen (einschließlich Regenumhänge) unter der wasserdichten Plane im Einbaum und stiegen leichtbekleidet ins Boot. Nach kurzer Zeit verdunkelte sich der Himmel und wir gerieten in ein Gewitter. Eine volle Stunde peitschte uns der Regen ins Gesicht. Der Fahrtwind war so kalt, dass mir die Zähne klapperten. Zurück im Dorf strahlte die Sonne und der Fluss bescherte uns ein wärmendes Bad. Nach einem leckeren Fisch-Abendbrot verkosteten wir noch einheimisches Bier, welches wir im Dorfkonsum gekauft hatten. Am nächsten Tag fuhren wir per Boot zu den naheliegenden Wasserfällen, wanderten direkt durch sie hindurch und badeten in der Lagune. Nach dem Rückflug mit der Chesna landeten wir in Ciudad Bolivar und verabschiedeten uns von unseren Mitreisenden. Ein Taxi brachte uns nach Puerto Ordaz, von wo aus wir nach Caracas flogen. Maria und Maik waren froh, dass uns die Reise begeistert hatte und vor allem, dass wir ohne Probleme und Zwischenfälle alle kleinen Hürden gemeistert hatten.
Nach einem Ausruh- und Bummeltag in Caracas starteten wir alle 5 (Maik, Maria, Back, ich und Hundekind Harras) zu einem gemeinsamen Strandurlaub nach Cata. Erster geschmackvoller Zwischenstopp war die idyllische Hacienda Santa Teresa, wo seit ewigen Zeiten Rum gebrannt wird. Etwas geschockt standen wir am Abend in dem gemieteten Haus in einem karibischen Dorf. So heruntergekommen und unsauber hatten wir uns das nicht vorgestellt. Wir beschlossen, essen zu gehen und an den nächsten Tag am Strand zu denken. Die Paella mit Meeresfrüchten war ein kulinarischer Hochgenuss und auch der Palmenstrand übertraf die Erwartungen. Da heute Sonntag war, tauchten wir mitten in der lärmenden Masse der Einheimischen unter. Wir wurden von allen Seiten mit sehr lauter Musik (meist Reggaeton) beschallt und sahen sowohl atemberaubend schöne wie auch auffällig umoperierte Körper. Trotz allem Trubel fühlten wir uns wohl (kein Deutscher am Strand), kosteten den Saft einer selbstgepflückten Kokosnuss, ließen uns von den Wellen umwerfen und einfach die Seele baumeln.
Auch die nächsten zwei Tage waren Strandtage. Einmal schaffte uns ein Fischerboot in eine entlegene Bucht und es war eine grandiose Safari für uns. Mangrovenwald, Pelikane, Geier, Krabben, Fische, Korallen, Seesterne zum Anfassen. Zurück im Fischerhafen standen wir am schönsten Platz während unserer Venezuela – Reise. Im Sonnenuntergang flogen Pelikane über unsere Köpfe. Die Fischer luden riesige Fische aus. Wilde Hunde streunten herum. Ein Pärchen hatte die Autotür geöffnet, trank mit Freunden Bier und beschallte die Szene mit karibischer Musik. Wie verzaubert standen wir mitten in einem Gemälde, in dem einfach alles perfekt war. Das war Marias Beschreibung unseres Gefühls und ich kann es nicht treffender ausdrücken. Über der ganzen Bucht lag eine tiefe Zufriedenheit. Am letzten Tag suchten wir wieder den Palmenstrand vom Sonntag auf und waren diesmal fast allein!
Unsere Rückfahrt führte uns durch die Colonia Tovar, eine deutsche Kolonie in den Bergen. Maria hatte dort einige Zeit zu Studienzwecken verbracht und konnte uns unheimlich viel berichten und erklären. Ein Abstecher zu alten Felszeichnungen rang dem Jeep und unserem Fahrer Maik Höchstleistungen ab. Der Weg war unheimlich steil, von tiefen Rissen durchzogener glitschiger Lehm glänzte im Nieselregen. Maria stöhnte ausdrucksvoll, ich schwieg vor Angst und Paparazzi Back filmte unverfroren das schlingernde Auto. Dafür sind ihm aber im Nachhinein alle dankbar, denn wir haben den Film nunmehr vielleicht 20mal angesehen und uns köstlich amüsiert. Zurück in Caracas waren Back und ich so erfüllt von all den Eindrücken, dass wir eigentlich keinen Ausflug mehr brauchten. Die alltäglichen Dinge waren aufregend genug: mit Maria besuchte ich ein Kosmetikstudio und ging zur Maniküre. Ja, in Venezuela arbeitet man anders. Während ich mir das erste Mal in meinem Leben professionell die Nägel lackieren lasse, telefoniert die junge Angestellte mehrmals privat und tippt sms in ihr Handy. Aber das Ergebnis war trotz einfachster Arbeitsmittel ausgezeichnet. Wie in der DDR macht eine Mangelgesellschaft erfinderisch und der mehrfach verwendete Zahnstocher (mit Watte umwickelt und in Nagellackentferner getaucht) amüsierte mich.
In einem Geschäft um die Ecke saßen wir zweimal bei einem Portugiesen zum Frühstück. Schnell waren Maik und Maria durch ihr fließendes Spanisch und einen wohlerzogenen Hund mit den verschiedensten Leuten im Gespräch. Maiks Neugier bescherte mir sogar eine unterhaltsame Englischstunde mit einem Comiczeichner aus Caracas. Wir porträtierten uns gegenseitig und schwatzten dabei über Schule, Politik und die Berliner Kunstszene.
An den letzten beiden Tagen frönten wir den kulinarischen Köstlichkeiten des Landes. Im Nationalpark auf dem Avila verwöhnte uns ein französischer Koch, während wir bei Vollmond die erleuchteten Schiffe tief unter uns vor dem Hafen in Caracas ankern sahen. Am nächsten Abend blickten wir von der 360°Bar auf dem Dach eines Hochhauses auf den Moloch Stadt. Dort unten tobt(von hier aus unsichtbar) ein regelloser Verkehr, dort kostet eine Tankfüllung 2 €, dort steht man Stunden im Stau, dort liegt der Müll, dort riecht es nach Abgasen, dort gibt es 50 Prozent Arbeitslose, dort verrammelt man aus Angst vor Überfällen seine Autotüren . Wir genehmigten uns ein großartiges Abschiedsessen, erzählten, lachten, bemalten die Papiertischdecke und fuhren fröhlich heim. Unterwegs sahen wir Autos, die Weihnachtsbäume auf die Dächer gebunden hatten. Na klar, es war Mitte November.
Unsere Reise war ein Erlebnis im doppelten Sinne: Natur genießen und gleichzeitig hinter die Kulissen einer zwiespältigen Politik schauen. Maria und Maik waren die besten Gastgeber, die man sich wünschen kann. Sie organisierten unsere Ausflüge, sorgten für unsere Sicherheit, übersetzten geduldig Speisekarten und Chavez´ Radioansprachen und brachten uns die echten Regeln des nationalen Dominospiels bei.
Nochmal ein herzliches Danke an euch beide!
Die Fotos zu diesem Reisebericht habe ich soeben frisch ins Netz gestellt.
Eine fesselnde Entdeckungsreise im Album „Venezuela“ wünscht euch
Kerstin!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert