Eine Zugfahrt, die dritte!

Angespornt von den vielen positiven Rückmeldungen über meine Zugfahrten-Posts gibt es nun die aktuelle Story über meine Reise nach Dänemark – einmal hin und einmal zurück.
Foto: Dänemark. Kalt! Schön.

EINMAL HIN
Außer meinen sieben Sachen für eine Woche Besuch bei Freunden, bin ich mit Äpfeln, Möhren, Thermoskanne, Wolle und Häkelnadel , dem „Magazin“, dem Buch „Hektor und die Entdeckung der Zeit“ sowie erstmalig mit einem Smartphone super für die Neun-Stunden-Reise gerüstet.
Pünktlich und geruhsam lese ich ein wenig im „Magazin“ und frühstücke. Von der angebotenen Tschokkolada (tschechisch) mache ich nicht Gebrauch und wie im Fluge ist die Zeit bis Berlin verflogen. Eine kleine Verspätung verschafft mir den Morgensport beim Treppenlauf zum nächsten Bahnsteig. So gesehen ist Bahnfahren auch sehr gesund. Außerdem sind die Leute auf der Rolltreppe immer langsamer als ich.
An meinem Tisch sitzt mir eine Handballerin gegenüber. Ihr sportliches Shirt mit Handball-Logo sowie die Lektüre einer Handballzeitschrift lassen keine Zweifel. Eine gepflegte ältere Dame mit Gehbehinderung quält sich den Gang entlang. Neben mir zum Stehen gekommen, fragt sie höflich, ob ich mit ihr den Platz tauschen würde und ans Fenster rücke. Dann könne sie ihr schmerzendes Bein in den Gang strecken. Hmmm. Am Fenster frieren ist doch besser als eine Gehbehinderung, denke ich, verstaue ihren Schirm auf der Gepäckablage und rutsche zur Seite. Die Leute ringsum frieren, vor allem die Frauen. Am Nebentisch unterhält sich ein Paar auf holländisch und ich nicke, weil ich verstanden habe, dass es auch um die Kälte ging. Bei der Fahrkartenkontrolle bittet die Handballerin den Zugbegleiter, die Heizung höher zu stellen. So etwas ginge im ICE. Nach einer halben Stunde sitzen wir immer noch in unsere Jacken eingewickelt da. Es ist richtig ungemütlich. Nun fordert die ältere Dame neben mir erneut mehr Wärme. Der Bahnbedienstete meint, mehr ginge nicht. Alle Frauen ringsum protestieren. Er darauf: „Meine Damen, wir haben 22 Grad!“ Erneuter Protest. Schließlich ist es 10 Minuten später angenehm warm geworden und wir lächeln uns zufrieden an. Endlich kann ich mich entspannt in meine Zeitschrift vertiefen. Nach gefühlten zwei Sekunden klingelt das metallic-rote Handy der älteren Dame neben mir.
Laut. Richtig laut.
Binnen kurzem habe ich erfahren, dass Frau Haas neben mir sitzt, die aus Flensburg kommt und in Berlin war. Was sie sich dort angeschaut hat (Nikolaiviertel und Gedächtniskirche), erzählt sie mir aber selbst.
Dann erlebe ich erstmals live die Vorzüge eines Seniorenhandys. Während sie mit Nachdruck die Nummern ihrer Tochter, einer Reitlehrerin und eines Taxiunternehmens eintippt, hören wir alle gemeinsam die Zahlenansage: zwei – acht – neun – zwei – null – vier – vier…
Laut. Richtig laut.
So merkt jeder Nutzer gleich, ob er sich vertippt hat. Da Frau Haas aber wirklich nett ist, schwatzen wir ein bisschen. Woher, wohin. „Ach, nach Dänemark reisen Sie. Sehr schön. Sehr nett, die Dänen. Und die jungen Mütter, wissen Sie, das habe ich in den Einkaufspassagen beobachtet, die stehen mit den Kindern da und unterhalten sich, da holen die nicht wie hier in Deutschland ihre Handys raus. Die reden noch richtig miteinander.“ Ich finds lustig. Die Älteste im Abteil hat bisher ihr Handy am meisten genutzt.
Ein Herr steigt zu und will den letzten freien Platz an unserem Vierertisch einnehmen. Die Handballerin bietet ihm den Gangplatz an, und will selbst zum Fensterplatz zu rutschen, aber er protestiert höflich. „Aber sie fahren doch nur bis Neumünster“ ,sagt da Frau Haas zu ihm. „Totale Überwachung hier!“ entfährt es meinem Munde. Wir lachen.
Bis ich merke, dass über den Sitzen die rote Leuchtschrift die reservierten Plätze benennt.
Frau Haas hat gute Augen.
„Ja, aber ich habe absichtlich nicht den Gang gewählt, weil einen alle Leute anrempeln, während man liest.“, schaltet sich der Herr wieder ein. Setzt sich ans Fenster und – nein, er liest nicht, er schläft.
In Hamburg wird unser Zug geteilt, eine Hälfte fährt nach Arhus, eine nach Kopenhagen weiter.
Dem Holländer stürzt der schwere Koffer in den Gang, als er ihn von der oberen Ablage zerrt. Die Reisenden auf den Gangplätzen ducken sich blitzartig und ich finde meinen Fensterplatz inzwischen optimal.
In Flensburg verabschieden wir Frau Haas und ich muss mit meinen Winterschuhen auf ihren Sitz klettern, um ihren Schirm aus der hintersten Ecke der Ablage zu fischen. Sie freut sich und die Handballerin und ich machen sichs bequem. Gleichzeitig packen wir unser gesundes Essen aus, sie Schwarzbrot und ich Möhren. Wir kauen und schwatzen. Sie erzählt, wie sie am Morgen in Berlin bei totalem Glatteis gleich erst mal hingefallen und nun mit verschmutzter Jacke unterwegs ist. Ich kann berichten, dass ich Gleiches am glatten Montag in Dresden mit meinem Fahrrad geschafft habe. Zufrieden stimmen wir überein, beide Glück gehabt zu haben, weil wir gesund und munter im Zug sitzen. Sie meint, ich solle Dänemark genießen und verabschiedet sich.
Kurzzeitig widme ich mich nochmal meiner Statistik „Wer macht was beim Zugfahren?“ und komme nach mehrmaligem Durchwandern unseres Wagens (Toilette, Tee holen, Toilette) zu folgendem Forschungsergebnis: Handynutzung 9 Personen, Laptopnutzung 7 Personen, Tagebuch schreiben 3 Personen, Bücher lesen 3 Personen, Zeitung lesen 1 Person, E-Book lesen 1 Person, NICHTS tun oder träumen 1 Person.
Draußen eine unscheinbare flache Stadt mit kleinen Häusern. Von weitem sehe ich eine hohe und lange Stahlbrücke, bis ich freudig bemerke, dass dies die Bahnstrecke ist und unser Zug die Stadt in weitem Bogen und in luftiger Höhe umkreist. Ein toller Anblick, fast wie aus einem Heißluftballon. Nur nicht so kalt.
Wir fahren auf der Rendsburger Hochbrücke, welche 100 Jahre alt und eines der bedeutendsten Technikdenkmäler Deutschlands ist.
Fast unbemerkt überqueren wir die Grenze. Ohne die erneute Fahrscheinkontrolle des dänischen Zugbegleiters hätte ich es nicht mitbekommen.
„velkommen om board – om fa minutter ankommer vi til Koolding“ lese ich am Display.
„… dass wir durch den Zug kommen Arhus an sechs“ klingt in gebrochenem Deutsch die Ansage.
 Europa ohne Grenzkontrolle. Wie schön. Was meinen Kindern selbstverständlich ist, empfinde ich noch immer als bedeutsames Geschenk.
Sicher findet auch der junge Däne, der schräg gegenüber sitzt, diesen Länderwechsel völlig unspektakulär. Er hat sich einen großen Becher Kaffee geholt und telefoniert jetzt in einer geheimnisvollen Sprache, mal klingt es dänisch, mal tschechisch, mal etwas türkisch: chalal malo sarodje mechanica nasam. Ich schnappe einzelne Wörter auf und grüble und grüble. Dem Aussehen nach wirkt er eher südländisch. Groß, kräftig, dunkle Haare, bärtig, Lederjacke und helle Cargohosen. Als ein dänisches Paar zusteigt und sich an seinen Tisch setzen möchte, lächelt er freundlich und wechselt ein paar Worte auf dänisch mit ihnen. Dann beendet er seine Telefonate und legt das Smartphone auf den Tisch. Noch ehe er wieder nach seinem Becher greifen kann, fegt die Frau beim Hinsetzen mit ihrer sperrigen Tasche seinen vollen Becher direkt über sein Telefon und auf seine hellen Hosen. Ich halte den Atem an und befürchte Schlimmes. „Ohhh!“ macht die Frau und hält ihre Tasche hoch. Der Typ erhebt sich, blickt an sich runter, schaut die Frau an und –
muss grinsen. Schnell hebt er das triefende Smartphon hoch und lässt den Kakao (ja, es war kein Kaffee) auf den Tisch tröpfeln. Die Frau hat inzwischen tausende Servietten aus dem Bordbistro geholt und wischt und schwatzt und lacht dabei. Nachdem sich der bekleckerte Hühne den komplett kakaobraunen Oberschenkel abgetupft hat, verschwindet er schmunzelnd auf Toilette. Bei seiner Rückkehr lachen nicht nur Täter und Opfer, sondern alle ringsum, die das Malheur mitbekommen haben.
Und ich verstehe endlich, was ich soeben erlebt habe: ein Paradebeispiel dänischen Humors!

EINMAL ZURÜCK
Schell ist eine Woche vergangen. Schon geht es nach Hause. Pünktlich starte ich am Morgen in Vejle. Es hat geschneit, der Fjord ist zugefroren. Meine Wagennummer gibt es nicht und ich setze mich auf einen völlig anderen Platz. Der Kontrolleur erklärt mir auf Dänisch, dass die Platznummern nicht stimmen. Ich verstehe kaum ein Wort, aber da ich weiß, was er meint, nicke ich und sage tak. Danke, Würstchen, Brötchen und ein paar Wörter mehr kann ich nämlich schon sprechen. In Fredericia sehe ich viele viele Züge mit Graffitis auf den Gleisen stehen. Mein Gegenüber blättert in einem Modelleisenbahn-Prospekt. Kommt eine hübsche blonde Frau mit einer großen Papiertüte an allen Plätzen vorbei und bietet fertig geschmierte Butterbrötchen an. Kostenlos. Der Däne an meinem Tisch freut sich und nimmt eines. Ich verstehe natürlich viel zu spät , was sie will  und lehne vorsichtshalber kopfschüttelnd ab. Der Herr lächelt mich an, erzählt etwas von Service und beißt genüsslich in sein Geschenk. Etwas ärgerlich über mich selbst schaue ich aus dem Fenster. Dabei gehe ich in Gedanken meine Typisch-Dänisch-Liste durch. Bei jeder Reise füllt sich eine Leerseite meines Kalenders mit den Besonderheiten des jeweiligen Landes. Diesmal habe ich gesammelt:
Dänischer Humor: Sie können über sich selbst lachen und nehmen böse Scherze, z.B. Silvesterknaller in der Mülltonne oder herausgezogene und vertauschte Briefkästen nicht übel. Kinderlieder sind auch etwas speziell. In der Sportstunde (Ja, ich durfte mit zum Kindersport und zur Morgenrunde in der Kirche!) sangen wir ein Lied, mit dem alle Körperteile benannt und angefasst wurden. Nach dem Rücken kam der Po und das letzte Wort im Lied war ein lauter Furz. Spätestens an dieser Stelle sang das letzte Kleinkind laut und verzückt mit.
Kälteempfinden: Bei minus drei Grad sah ich Leute in kurzen Hosen auf der Straße laufen. Bei minus fünf Grad fuhr ein Cabrio mit offenem Verdeck an uns vorbei. Dänische Kinder sind jeden Tag draußen und das Wetter ist oft ungemütlicher als bei uns.
Praktisch: In der Bibliothek leiht man Bücher in Selbstbedienung aus. Mit seiner Krankenversicherungskarte kann man ausleihen, abgeben und sogar nach Bibliotheksschluss bis 22 Uhr das Gebäude betreten. Aus allen Einrichtungen des Landes kann man Bücher in seine Heimatbibliothek bestellen. Im Urlaub im Ort A ausleihen und daheim im Ort B abgeben. Alles kostenfrei!
Mietet man ein Haus oder eine Wohnung, so gehören die Küche, technische Geräte wie Waschmaschinen sowie Einbauschränke in der Regel zur Mietsache dazu. Das erspart Transporte, Ein- und Abbauten und der Bauherr oder Vermieter legt Wert auf langlebige Technik und zeitloses Design.
Senioren: Ältere Dänen sind sehr gesundheitsbewusst und sportlich. Die 70-jährige Nachbarin joggt dreimal in der Woche und auch bei Minusgraden. Der freundliche „Seebär“ vom Nachbarhaus läuft mit seiner Schneefräse gleichmal an den angrenzenden Grundstücken mit vorbei und kümmert sich auch um die Räumung der Straße.
Schule: Mit sechs Jahren ist Schulbeginn in der nullten Klasse. Nur in diesem Null-Jahr kann man sitzen bleiben. Danach wird man stets weiter versetzt und erhält viele Jahre keine Noten. Bis Klasse Neun gehen meist alle gemeinsam in die Schule, danach kann man verschiedene Wege einschlagen. In den Kindergruppen fiel auf, dass die meisten Sprösslinge hart im Nehmen sind. Wenn die Koordination noch nicht so ausgeprägt ist, geraten schnell mal zwei Köpfe aneinander oder Einer wird umgerannt. Na und? Aufstehen, Entschuldigung, Weitermachen. Wahrscheinlich ist diese Gelassenheit das Geheimnis, weshalb 20 Kinder plus ihre mindestens nochmal 20 Elternteile in einer kleinen alten Turnhalle so wenig Lärm verursachen.

Während ich meinen Gedanken nachhänge, bemerke ich gar nicht, wie lange wir bereits in Flensburg stehen.
„Werte Fahrgäste! Wir führen hier einen Triebwagenfahrerwechsel durch. Da unser Fahrer diesen Triebwagen nicht bedienen darf, verzögert sich unsere Weiterfahrt um ca. 60 min, bis der neue Fahrer aus Hamburg hier eintrifft. Wir bitten um ihr Verständnis.“ WAS? Während wir uns alle verwundert anschauen, erfolgt inhaltlich die gleiche Durchsage nochmals in Dänisch und in Englisch. Kurz darauf die dreisprachige Ergänzung, dass wir uns im Bordbistro kostenlos heiße Getränke abholen können. Bald sitze ich mit einem großen Tee und der Gewissheit am Platz, dass ich meinen Anschlusszug in Berlin niemals bekommen werde.
Die vielen Dänen im Zug schwatzen völlig entspannt, erzählen sich lachend etwas und teilen wahrscheinlich auch ihren Proviant. Freundlich erkundigen sie sich nach Anschlusszügen und überlegen, wie sie ihren Tag jetzt neu ordnen.Keine Hektik, kein Missmut.
Mein Gegenüber holt sich einen Kaffee und redet dänisch auf mich ein. Ich verstehe nichts und muss mich als Deutsche outen. Da lacht er und spricht in fast akzentfreiem Deutsch, um mir ein Schokobonbon zum Tee anzubieten. Diesmal lehne ich natürlich nicht ab. Er muss nach Nürnberg zur Spielzeugmesse und wird in Hamburg seinen Anschluss schaffen. Aha, daher die Modelleisenbahn-Prospekte. „Was denkst du, welche Spielzeugbranche ist die größte in Nürnberg?“, lässt er mich raten. Nicht Modellbahnen, nicht Lego und auch nicht Computerspiele. Ich grüble.
Ein Tipp von ihm: „Es ist das älteste Spielzeug!“ Fast hätte ich Puppen gesagt, da löst er das Rätsel:
Teddybären. Eine ganze Halle nur Teddybären!
Ein junges Mädchen neben uns übersetzt die wiederholten Durchsagen für einen jungen Dänen mit Nerdbrille vom Deutschen ins Dänische. Dann borgt er sich ihr Ladekabel fürs Smartphone und murmelt etwas wie „you save my day“, als er endlich wieder Musik hören kann. Das Mädchen ist pfiffig. Als der Zugbegleiter ihr vorschlägt, eventuell den Zug zu wechseln, um eher Anschluss nach Kiel zu bekommen, winkt sie ab.
Bei 60 min Verspätung gibts mehr Geld zurückerstattet. Da hätte ich gar nicht dran gedacht. Sie löffelt gedankenverloren ihren Couscous-Salat und verschickt ein paar Nachrichten mit ihrem Handy. Das Lesen von Adler Olsens „Erbarmen“ wird noch spannender, wenn ich nebenbei Geld verdiene.
Der Spielzeughändler klärt mich über seine Landsleute auf: „Wir Dänen wollen immer unser eigenes Ding machen. Und so haben wir Hunderte von diesen Zügen herumstehen und wenige können sie fahren. Die sind von einem italienischen Hersteller.“ Nun schwant mir etwas. In Fredericia hatte ich ungewöhnlich viele Graffiti-verzierte Züge gleicher Bauart gesehen. Auf Nebengleisen. Wenn sie dort so lange ungenutzt stehen, haben die „Künstler“ natürlich richtig Zeit für ihre Werke.
Es ruckt und mit 58 min Verspätung geht es weiter. Ob die Bahn das auf 60 min aufrundet?
In Rendsburg fahren wir wieder über die tolle Brückenanlage. Am Kanal gäbe es ein Restaurant, in dem bei Vorbeifahrt eines Frachters dessen Ladung genannt würde und die jeweilige Nationalhymne des Herkunftslandes gespielt wird. „Keine Ahnung, ob es das noch gibt“, meint der Däne und versucht mir die Stelle zu zeigen, an der er einmal gesessen und genau dies erlebt hat. Da ertappe ich mich, wie ich das sofort google. Das erste Mal mit mobilem Internet unterwegs und sofort wechsle ich in das Verhaltensmuster meines Sohnes. Freudig halte ich meinem Gesprächspartner das Display hin: „Hier, das gibts noch.“ Er strahlt: „Ah!“
Dann liest er in seinem Buch weiter. Simon Garfield „Why the World look the Way it does“.
Warum die Welt so aussieht wie sie aussieht.
Bei einer meiner nächsten Zugfahrten könnte ich doch mal alle Buchtitel erfassen, die gelesen werden!
Aber schon sind wir in Hamburg, der nächste Zug fällt aus und ich muss eine neue Verbindung suchen. Der Bahnservice ist hier so schnell und freundlich, dass die Wartezeit sogar noch für einmal Fish and Chips reicht.
In Leipzig habe ich meinen Krimi zur Hälfte durch. Letztes Mal umsteigen. Mein Platz ist besetzt. Der junge Mann fragt mich ernsthaft, ob man fürs Reservieren etwas extra bezahlen müsse. Ich bejahe, setze mich aber auf den Platz daneben, weil es schließlich egal ist. Die Fahrkartenkontrolle kommt und er löst seinen ICE-Zuschlag nach. Als er den Preis hört, fällt er aus allen Wolken: „Zehn Euro??? Am Schalter bezahle ich 2,80. Da hätte ich doch auf den nächsten Regionalzug gewartet.“ Nützt nix, er muss zahlen. Ich verstehe, wie schmerzhaft die Erkenntnis für einen 28-jährigen Studenten ist, der gerade für 15 Pfund Leipzig-London-Leipzig geflogen ist. Wir diskutieren über die vielen Buslinien, die die Bahnstrecken übernehmen und ob das ökologisch nicht völliger Unsinn ist bei einem so ausgebauten Streckennetz. Vergleiche zu Australien, Schottland, Neuseeland und Indonesien kommen ins Gespräch und plötzlich ist meine Reise zu Ende.
Mit 115 min Verspätung. Ab 120 min gibts die nächst höhere  Entschädigung.
Bin gespannt, wie die Bahn das sieht.
Auf jeden Fall waren die zehn Stunden Reisezeit wieder einmal überhaupt nicht langweilig. Nur Wolle und Häkelnadel schmollen, weil sie nicht ein einziges Mal von mir aus dem dunklen Beutel heraus geholt worden.

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