Barfuß durch den Regenwald

Wir drei wollten uns ein Wochenende im Grünen erholen und nach Samaipata in den Amboro-Nationalpark fahren. Der Start, unser Treffen am Trufi-Stand (Trufi ist eine Art Großraumtaxi), ging erstmal daneben. Jeder wurde von seinem Taxifahrer an einem anderen Ort abgesetzt. Mit einem „wilden“, also Schwarztaxi, dem ich auch noch links und recht ansagen musste, kam ich zum Treffpunkt. Allerdings musste ich gleich Lehrgeld zahlen, der Preis war mindestens das Vierfache des Normalen. Drei Stunden Fahrt standen uns bevor und bereits nach dreißig Minuten genoss ich das viele Grün. Auf asphaltierten und unbefestigten Straßen ging es stetig aufwärts, bis auf 2400 Meter. Welch klare Luft! Die hatte ich wirklich in den zwei Wochen im heißen, stickigen Moloch der Großstadt vermisst.
Schnell fanden wir ein hübsches, preiswertes Hostel, ein nettes Café und einen Reiseführer, den wir empfohlen bekommen hatten. Es regnete, aber wir wollten ja in den Regenwald. Mir wurde
plötzlich bewusst, dass ich auf Empfehlung meiner Bolivien-erfahrenen Begleiterin wie der blanke Touri zum Badeurlaub aufgebrochen war, nämlich ohne feste Schuhe und ohne Regenjacke.
Eine Regenjacke konnte ich mir leihen, doch Schuhe in meiner Größe, von Bolivianern?
Unser Wanderführer meinte fröhlich, er würde mich dann tragen…
Eine knappe Stunde fuhren wir rote, zerfurchte Pisten entlang, Regen und Sonne wechselten, steile Hänge, Fels und wunderbare Aussichten säumten den Weg. Eine Wilkatze (wahrscheinlich ein kleiner Puma) sprang vor uns über die Straße und verschwand blitzschnell im Dickicht. An einem unscheinbaren Eingang betraten wir den Nationalpark. Ich noch in Flipflops…
Der Regen wurde konstant stärker, meine Regenjacke hatte keine Kapuze, meine Brille beschlug und auf dem glitschigen Weg musste ich die Schuhe ausziehen. Unser Guide bedeutete mir, er würde auf Gefahren (Spinnen, giftige Tiere?) achten und lief hinter mir. Wenn ich knöcheltief im Matsch versank, wäre mein Tritt am sichersten. Der Waldboden fühlte sich ganz weich an, 
besonders kalt war es auch nicht. Trotz des schnellen Wechsels von 50 m Höhe auf über 2000 m fiel mir das Atmen erstaunlich leicht. Die Luft war feucht (70%), sauber und kühler als in der Stadt.
Außer einer kleinen Wandergruppe, die den Regenwald gerade verließ, begegneten wir zwei Stunden niemandem. In dieser Ruhe und Abgeschiedenheit auf wilden Wegen, welche von Tieren vorgegeben waren, hörten wir Kolibris und Frösche. Das schweigsame Laufen im Rhythmus der Töne war eine schöne Meditation. Bis unsere Lachsalven die Stille zerrissen, weil wieder jemand ausgerutscht und in Schlammpfützen gelandet war.
Es fällt mir immer wieder auf, wie man zu Beginn von Schlechtwetterwanderungen bemüht ist, die Sachen sauber zu halten, nicht in Pfützen zu treten und sich vor dem Regen zu schützen. Aber so läuft man ganz verspannt. Du musst gehen wie der Dalai Lama, entspann dich, riet mir mein Hintermann. Irgendwann hatte ich das Gefühl raus und nach einer Stunde und der Hälfte 
des Weges standen wir ergriffen inmitten riesiger Farne und Bäume voller Flechten. Triefend nass und überglücklich. Unser Proviant, ein leckerer Keks für jeden, schmeckte hier köstlicher als ein Fünfgängemenü.  Unser Guide zeigte uns Wildkräuter, wir sogen den Duft von wildem Eykalypthus ein und errechneten das Alter von Farnen. Ein Meter pro Jahrschaffen sie. Die Indigenen brauchen keine Apotheke. Der Regenwald bietet dem kundigen Heiler alles Nötige.
Der Rückweg schafften wir schneller, denn es ging bergab. Natürlich rutschte es auch viel besser.
Das spürten wir gleich darauf im allradgetriebenen Wagen, der streckenweise über die tiefen Furchen und durch schmierige Pfützen schlingerte. Ziemlich durchgefroren kamen wir im Hostel an, unsere Sachen waren komplett nass. Zum Wechseln die Alternative zwischen luftigem Sommerkleidchen und kurzer Hose. Nach 14 Tagen bie 34 Grad konnte ich mir Kälte einfach nicht mehr vorstellen. Es ging mir nicht allein so und Rettung Nähte in Form einer Kleiderspende aus dem Haus einer Kollegin. Eine viel zu weite und zu kurze Puma-Hose, kombiniert mit einer riesigen, aber warmen Jeansjacke, vom Regen verwüstete Haare und das Handtuch als wärmenden Schal – so war ich im Restaurant zum Abendessen. Meine Begleiterinnen und ich haben auf dem Heimweg Fotos geschossen und Tränen gelacht, da mein Outfit echt Assi aussah.
Was soll´s, es hat gewärmt.
Das Sonntagmorgenfrühstück fand draußen statt, der Regen hatte aufgehört und wir bummelten über den kleinen Markt. Anschließend brachte uns ein wahnsinniger Taxichauffeur in zwei Stunden zurück nach Santa Cruz. Die Hinfahrt hatte drei Stunden gedauert. Von rechts raunte es mir ins Ohr: wenigstens fährt er nicht betrunken Auto.
So kamen wir wohlbehalten an und haben uns vorgenommen, beim nächsten Besuch die Fünfstundentour zu machen. Mit dem gleichen Guide, aber ich unbedingt mit anderen Schuhen.
Obwohl? Ich bin ziemlich sicher, dass das eine clevere Geschäftsidee wäre:
„Den Nationalpark hautnah erleben – barfuß durch den Regenwald!“

Unser bolivianischer Reiseleiter will darüber nachdenken…


1 Gedanke zu „Barfuß durch den Regenwald

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