Es war Karneval und wir hatten 5 Tage frei.
Was unternimmt man zur Erholung an so einem verlängerten Wochenende in Südamerika?
Karneval in Santa Cruz hatten wir gestrichen, denn da ist der Teufel los, man wird mit Wasser, Schaum und Farbbomben attackiert, der Alkohol tut sein Übriges dazu, dass die Stadt im Ausnahmezustand ist.
Den Vorschlag, mit einer Kollegin in nur 5 Tagen ins benachbarte Peru auf den Machu Picchu mitzureisen, hatte ich anfangs abgelehnt. Was für ein Stress: zwei Flüge, zwei lange Busfahrten,
Höhenkrankheit, ewige Grenzkontrollen. Nein, danke.
Aber zwei Wochen vor den Ferien hatten sie mich dann soweit. Jeder, der die Inkastätte bereits
besucht hatte, redete mir zu. Das musst du sehen. Es ist magisch.
So wurde aus einem verlängerten Wochenende eine der verrücktesten Reisen, die ich je erlebt habe.
Denn eins kann ich vorwegnehmen: es war alles andere als erholsam!
Doch nun von Anfang an.
Freitags direkt nach dem Unterricht führen wir mit unseren gepackten Rucksäcken zum Flughafen und starteten nach La Paz, Boliviens Hauptstadt. Eine Stunde Flug, herrlicher Blick auf die schneebedeckten Anden. Meine Reisebegleiterin Jule war genauso aufgeregt wie ich. Wir landeten in 4000 m Höhe in El Alto, der zweitgrößten Stadt Boliviens, von der aus man mit dem Taxi in die 500 m tiefer gelegene Hauptstadt fährt. Alle hatten uns Tipps gegen die Höhenkrankheit gegeben, wir
hatten Sorochipillen, Koka und ausreichend Wasser dabei. Aber die ersten Schritte aus dem Flugzeug waren der Hammer! Im Schneckentempo liefen wir die Gangway entlang. Es fühlte sich extrem rauschhaft an, ähnlich wie das Aufwachen aus der Narkose. Der Kreislauf ist völlig überfordert,
innerhalb einer Stunde fast 4 km Höhenunterschied zu bewältigen. Im Taxi wurde es nicht besser und im Hostel ließ ich anschreiben, um nicht mein Geld im Zimmer eine Stockwerk höher holen zu müssen. Unsere Abendrunde in La Paz war winzig, zeitig lagen wir im Bett. Der Kokatee und die Pillen schienen ganz gut zu wirken. Am nächsten Morgen irrten wir eine Weile auf dem Busbahnhof herum, um unsere Tickets abzuholen und dann saßen wir in einem wirklich komfortablen Fünfsterne-Reisebus, der uns in 14 Stunden an unser nächstes Ziel, Cusco in Peru, bringen sollte. Zur Abfahrt gab es einen Kokatee, wir klappten unsre Liegesitze um und wickelten uns in warme Decken. Einzig die Bustoilette hatte nicht einen Stern verdient…
Die Fahrt im Hochland ging durch El Alto bis an den Titicacasee, den größten Süßwassersee Südamerikas, der Peru und Bolivien verbindet. Obwohl uns die fremden Landschaften in ihren Bann zogen, merkten wir, wie unsere Kopfschmerzen stetig zunahmen und fast unerträglich wurden. Da hatten wir uns ziemlich naiv vorgestellt, dass wir auf der Fahrt ja an Höhe verlieren würden, weil Machu Picchu auf 2500 m liegt. Aber der Titicaca liegt auf 3800 und Cusco auf 3000 m… An der
Grenze durften wir dann noch zwei Stunden mit unserem Gepäck in der Sonne anstehen. Spätabends fielen wir ohne Abendbrot, aber mit einem Kokatee ins Bett unseres kleinen Hostels. In der Hoffnung, dass es uns am Morgen gesundheitlich besser gehen würde. Unser Hostelbesitzer überraschte uns mit Rührei und frischem Mangosaft zum Frühstück, die Innenstadt mit Karnevalsumzügen, Wasserbomben und Schaumattacken. Um den Zug nach Aguas Calientes, dem Startpunkt unserer Wanderung zur berühmten Inkastätte, zu erreichen, war eine fast zweistündige Bus- oder Taxifahrt nötig. Endlich saßen wir im Zug. Welche Freude, durch die Panoramafenster das Andental mit Fluss, Wasserfällen und wilden Orchideen zu erleben. Dazu gab es noch Kaffee und Kuchen. Im Hostel in Aguas Caliente erhielten wir vom Betreiber nützliche Insidertipps für unseren großen Tag. Wie gut, dass wir keinen Guide gebucht hatten, der uns in zweieinhalb Stunden durch den Rundgang getrieben hätte. Hoffentlich würden wir zeitig schlafen können. Aber nach dieser physisch und psychisch strapaziösen Anreise und einem superleckeren peruanischen Abendbrot hatten wir an diesem Abend noch das Privileg, uns keine Bettdecke teilen zu müssen, da wir erstmals zwei Einzelbetten hatten. 4 Uhr klingelte das Handy. Also Jules Handy. Meines hatte sich in Cusco plötzlich verabschiedet. Der Touchscreen funktionierte nicht, es ging nicht einmal auszuschalten. Toller Ausflug, ohne Internet, ohne Fotoapparat, ohne Taschenlampe für den nächtlichen Aufstieg auf den Berg. 4:30 Uhr liefen wir mit je zwei Liter Wasser, Obst und Müsliriegeln auf dem Rücken zum Brücke am Fluss unterhalb des Machu Picchu, wo wir nach Vorzeigen unserer Eintrittskarten (für 6 Uhr) und des Reisepasses 5:10 Uhr durchgelassen wurden. Vor und hinter uns viele Frühaufsteher mit Stirnlampen. Nun begann der Aufstieg über ca. 2000 Stufen. In einer Stunde und zwanzig Minuten waren wir oben, fertig, aber voller Stolz. Der Aufstieg bescherte uns wunderbare Aussichten, Regen und ein ordentliches Kreislauftraining. Jetzt zahlten sich unsere regelmäßigen Fitnessstudiobesuche richtig aus. Auf dem Berg waren inzwischen 50 bis 100 Menschen, auf einer Straße fuhren unentwegt
Busse zum Gipfel und schütteten neue Besucher aus. Wir starteten zum höher gelegenen Sonnentor (Intipunku),um dort zu rasten und zu frühstücken. Der Weg dauerte eine knappe Stunde, wir bestaunten die Fauna und Flora um uns herum und waren glücklich, dass nur wenige Touristen diesen beschwerlichen Weg eingeschlagen hatten. Jule fotografierte, ich schaute kurz auf mein Handy, welches sich immer noch nicht zurückgemeldet hatte, und beschloss zu akzeptieren, dass ich einen analogen Besuch auf dem magischen Berg geschenkt bekommen sollte. Rückblickend muss ich feststellen, dass es sich angenehm entspannt anfühlte. Denn ich setzte mich hinter einen kleinen Felsen am Hang und wartete, dass die Wolken wegzogen und wir einen Blick auf die hunderte Meter unter uns liegende Stadt der Inka erhaschen würden. Nach einer Stunde, die wir zwei schweigend an zwei verschiedenen Plätzen ausruhten, schwirrte mir der grünschillernde Kolibri um den Kopf, den wir zuvor nur von weitem gesehen hatten. Immer wieder spürte ich den Luftzug an meinen Haaren, den sein kräftiges Flügelschlagen verursachte. Es klang wie ein Minipropeller. Ach, wenn ich nur ein Foto machen könnte, ging es mir durch den Kopf. Aber welch Schwachsinn! Er war ja nur zu mir gekommen, weil ich ohne Handyfummelei ganz still dagesessen hatte. Jule kam, ich bot ihr meinen Platz an und da geschah das Unfassbare. Nach einer kleinen Wartezeit kam der neugierige Vogel zurück, umschwirrte ihren Kopf und steckte seinen langen spitzen Schnabel in ihre Hochsteckfrisur. Entweder er erkundete ein mögliches Nest oder der Duft des Shampoos lockte ihn an. Ich konnte davon einige Fotos und Filmchen mit ihrem Handy machen. Während wir gehofft hatten, einen Kondor zu sehen, trafen wir einen Kolibri. Das war der magischste Moment für uns. Wir stiegen zur Hauptstätte hinab und mussten uns dem fürchterlichen Touristenstrom aussetzen, der trotz Personenzahlbeschränkung und Vorsaison auf diese Weltkulturstätte einströmte. Leider erfuhren nur wenige die Magie des Ortes und selbst Reisführer lotsten die Menschen aus aller Welt von Fotopoint zu Fotopoint. Unglaublich, was wir dort Irrationales erlebten. Ein wahnsinniges Fotoshooting. Statt Blick auf die herrliche Kulisse nur Blicke aufs Handy, Posen, Schminkspiegel und das verrutschte Glitzertop. Nach sieben Stunden Hochkultur war es Zeit für den Abstieg. Das Adrenalin war verbraucht, Beine und Kopf forderten ihren Tribut und wir fuhren mit dem Bus hinunter. 14 km reichten uns. Schließlich hatten wir für den nächsten Tag in Cusco noch eine Rundreise gebucht. Auf der wollten wir uns eigentlich vom Machu Picchu erholen, doch statt uns im Bus nur von Punkt A zu B kutschieren zu lassen, gab es Aufstiege zu zwei weiteren Inkastätten. Im Valle Sagrado und in Ollantaytambo erklommen wir erneut zahlreiche Stufen in über 2000 m Höhe, um den Kühlschrank der Inkas, ihre Legobauweise und Grabstätten in Felshöhlen zu bestaunen. Dazu eine Silberschmiede, eine Weberei, Alpakas und ein superleckeres peruanisches Buffet. Nach diesem weiteren anstrengenden Tag wartete statt Hostelbett nur der Liegesitz im Bus auf uns, eine etwas schnellere Grenzkontrolle und der anschließende Flug von La Paz zurück nach Santa Cruz.
Diese Reise wird mir ewig in Erinnerung bleiben. Nicht nur wegen der mächtigen körperlichen
Herausforderung, denn diese verblasst erfahrungsgemäß mit der Zeit. Aber die Bilder im Kopf, die mir eine so fremde Welt zeigten, werden nicht verblassen. Und Fotos gibt es auch genug, allerdings sind die wenigsten von mir. Danke, Jule, dass du meine persönliche Reiseführerin und Fotografin warst! Mein Handy funktionierte nach dem Abstieg vom Berg wie durch ein Wunder plötzlich wieder. Die Ursache werde ich nie erfahren. Wahrscheinlich hat es die Höhe genau wie ich nicht gut vertragen.
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