Ein bolivianisches Menü

Mit diesen Gedanken über Ernährung, Genuss, Gewohnheiten, Landwirtschaft, Experimente, Erkenntnisse und Kochkünste will ich meine Posts zur viermonatigen Bolivienreise abschließen. Eine nicht so leicht verdauliche Speisefolge.

Vorspeisen

Vor Reiseantritt habe ich mir die leckersten exotischen Früchte und eine sehr natürliche und gesunde südamerikanische Küche vorgestellt. Tolle Marktbilder mit Farbexplosionen von unbekannten Leckereien und Gewürzen in Reiseführern und Videos regten meine Fantasie an.

Hauptgerichte

In der Millionenstadt Santa Cruz hatte ich zwei grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten des Einkaufens: Supermarkt (teurer und sehr westlich) oder Markt (sehr preiswert, regional und frisch). Ich konnte mein Essen selbst kochen (gesund, aber ekliges Ambiente in meiner WG-Küche) oder essen gehen (relativ preiswert, aber vorwiegend Fast Food oder etwas langweilig gewürzte vegetarische Speisen). Auf Reisen erübrigte sich das Selbstkochen fast völlig. Interessant waren neue Nahrungsmittel wie zum Beispiel Chirimoya und roher Kakao.

Viel besser als in Deutschland schmeckten bekannte Sachen wie Avocado und Maracuja. Und natürlich gibts auch am anderen Ende der Welt Deutsche, die deutsches Brot und deutschen Kuchen im Angebot haben, echte italienische Pizzerias und sogar eine Schweizer Käserei. Doch das war eher die Ausnahme, die bunten Märkte waren immer wieder ein Wunderland für mich und sprachliche Herausforderung dazu. Am Morgen wandelte ich dort entspannt durch lange Reihen mit kunstvoll gestapeltem Obst, sah jedoch auch die gelblichen toten Hühnerkörper baumeln. Ab Mittag mied ich diese Gassen wegen des Gestanks. Ermattet und halb schlafend wedelten Verkäufer Fliegen von den noch nicht verkauften Fleischstücken weg. Kleinkinder träumten auf bunten Decken inmitten von Wassermelonen oder auf der nackten Erde. Viele Mamitas schliefen im Sitzen an ihrem Stand. Das Mittagessen löffelten sie aus einer Plastetüte, die in eine Schüssel gestellt wurde. Oder sie aßen gleich mit der Hand. Zwischendurch wurde das Baby gewindelt oder hinter dem Tisch für die Notdurft über einen Eimer gehalten. Auf das am gleichen Stand angebotene Essen habe ich aus Selbstschutz konsequent verzichtet. Obwohl es richtig lecker aussah. Außer einer Scheibe Ananas, einem Stück Melone und frisch gepresstem Orangensaft habe ich mir sämtliche Straßenkost verboten und bin damit gesund geblieben. Zum Thema Gesundheit und Bolivianer fällt mir ein, dass sie mit mangelnder Hygiene die geringsten Probleme haben. Sie vertragen die Keime, die mich wahrscheinlich viele Tage außer Gefecht gesetzt hätten. Dem Gesundheitsministerium waren Kampagnen für gesundes Essen wichtiger, weil viele Bürger an Übergewicht und den Folgeerkrankungen leiden.

Nachtisch (nein, nicht Dessert)

Weshalb ernähren sich die meisten Bolivianer ungesund, obwohl es das leckerste Obst und Gemüse gibt und dieses noch dazu billiger ist als Fertiggerichte, Cola und co? Ein typisches Mittagessen besteht aus Kohlehydraten (Kartoffeln, Reis, Mais), Fleisch und keinem oder wenig Gemüse. Frische Obstsäfte werden mit Milch, Sahne, Zucker gemischt. Süßes ist die schnelle und billige Belohnung für Kinder, besonders die armer Menschen. Viele Kalorien aufzunehmen, um die Arbeitskraft zu erhalten, ist im Prinzip schon richtig, aber nicht in Form von Zucker, Weißmehlprodukten und Fast Food, die aus der westlichen Welt ein armes Land erobern. Ich weiß noch sehr genau, wie lecker ich nach der Wende Nutella, Danone-Erdbeerjoghurt und Steinofenpizza fand. Ein paar bittere Wahrheiten gehören hier ans Ende dieser Geschichte. Als überwiegende Vegetarierin habe ich mich auf Obst, Gemüse, Käse und Eier gefreut. Mitten im Wald, hinter einem kleinen Dorf sollte ein Bauer eine Hühnerfarm haben. Einmal fuhren wir mit einer Freundin mit, die ihren Kindern die Hühnerchen zeigen wollte. Es war schrecklich, plötzlich in einer stinkenden, dunklen Halle in die engen Käfige zu sehen. Von da an waren Eier von meinem Speiseplan gestrichen. Auf den Märkten hatte auch ich immer den grünen Bauernhof im Hinterkopf, wenn die Eier in den Pappkartons angeboten wurden. Gut, esse ich Fisch, dachte ich mir. Irgendwann während wir leckeren Filet aus dem Titikakasee verspeisten, kamen wir auf die Idee, mal zu googeln, wie die Tiere dort so aufwachsen und gefangen werden. Das hätten wir vielleicht lassen sollen. Umweltverschmutzung, Schwermetalle im Wasser usw.

In den letzten Wochen fiel dann auch das Urteil für mein Obst und Gemüse vom Markt, als ein Bekannter fragte: Meinst du, dass das alles in 4000m Höhe wächst, was du in La Paz kaufen kannst? Und ist dir schon mal aufgefallen, dass die Tomaten schön gleichmäßig aussehen? Ohne Schädlingsbekämpfung geht auch hier nichts und die Transportwege sind mitunter sehr weit.

So ist mein Nachtisch nun weder leicht noch lecker geworden. Doch die Erkenntnisse aus der Nähe wollte ich euch nicht vorenthalten. Das Bild hat von Nahem stets mehr Schattierungen als aus der Ferne. Auch in einem Entwicklungsland kann keine Etappe übersprungen werden. Deshalb will ich Mängel und Fehlentwicklungen nicht hochmütig anprangern. Vielleicht beschleunigt die Informationstechnologie das Umdenken. Zum Schluss deshalb ein paar positive Anmerkungen. Der leckere Espresso als Abschluss des Menüs sozusagen.

Neu entdeckte, leckere Speisen waren: Huminta (Maiskuchen im Maisblatt gebacken)

Patacone (doppelt frittierte gesalzene Kochbananen)

Cuñape (Käsebrötchen aus Tapiokamehl und Weißkäse), Alfajores (Maismehlkekse mit Milchcremekaramellfüllung), Kakaoschalentee, rohe Kakaobohnen und Chirimoya (Frucht mit Eiscremevanille/Erdbeer/Ananasgeschmack).Es gibt in Bolivien Bioläden, vegetarische und vegane Restaurants. Wer ein Haus mit Garten hat, erntet eigene Avocados, Orangen und Bananen. Etliche Kooperativen fördern umweltfreundliche Landwirtschaft und achten auf faire Bezahlung. Kaffee und Kakao aus Bolivien habe ich auch in Dresden gefunden. Nach unserem Hühnerfarmschock sucht meine bolivianische Freundin nach einer Eier-Alternative. Im Lieblingscafé konnten wir Eiskaffee und frische Säfte ohne Zucker bestellen. Eines meiner letzten Gespräche führte ich mit der Putzfrau, die viel lieber als Ernährungsberaterin gearbeitet hätte und mir erklärte, wie ich Hibiskusfrüchte weiterverarbeite.

Ich denke, sie wird die Zeit erleben, in der sie ihr Fachwissen für ihre Landsleute einsetzen kann.

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