Mitternacht. Ich muss mich von Siobhan und Andy und Rex verabschieden. Leicht ist das nicht, wenn man weiß, dass man sich frühestens in zwei Jahren wieder sehen kann. Aber wir sind tapfer und heulen nicht, sondern erinnern uns an unsere zwei gemeinsamen Urlaubswochen und die zu erwartenden Weihnachtspakete.
Der Zug aus Sydney fährt ein. Letzte Umarmung, dann empfängt mich schon der Zugbegleiter und weist einen Platz an, wo ich meinen Koffer verstauen soll. Dann fragt er : Seat 29? Ich bejahe und grüble, woher er das weiß, wenn er meine Fahrkarte noch nicht gesehen hat? Es sind noch viele Sitze frei. Ich folge dem Herrn in einen dunklen Wagen und er leuchtet mir mit einer Taschenlampe bis zu meinem Sitz. Obwohl ich Economy Class gebucht habe, sind die Sitze komfortabler als im Flugzeug. Liegeposition, Klapptisch, Fußstützen und Armlehnen. Neben mir leider ein etwas breiter geratener Mann, der im Schlaf zuckt und stöhnt. Mit Nachsicht versuche ich mir vorzustellen, dass er seit Sydney schon fünf Stunden hinter sich hat. Immerhin fahre ich fünfeinhalb Stunden bis Brisbane. Dieser Nachtzug legt insgesamt ca. 1000 km zurück. Hinter mir Schnarchen. Neben mir Schnarchen. Der Zugbegleiter funzelt durch die Gänge und achtet darauf, dass niemand beim Schlafen seine Füße oder seine Decke in den Gang streckt. So rücksichtsvoll er sonst ist, Passagiere, die die Sicherheit bedrohen, weckt er erbarmungslos auf. Eine Decke könnte ich jetzt gebrauchen. Draußen sind 20 Grad und hier drin bringt mich die Klimaanlage zum Frösteln. Endlich nicke ich ein.
Casino? Der Aufpasser leuchtet mir ins Gesicht. Nochmal : Casino? Äh, was? Kann man hier im Zug zocken? Total verwirrt stammle ich: Sorry, I don’t understand. Und er endlich: Where do you go? So kann ich ihm beibringen, dass ich bis Brisbane reise und nicht in Casino aussteige. Dafür verlässt mich der Unruhegeist neben mir und ich lege mich quer auf beide Sitze. Das war also der Weckdienst und Casino ist eine Stadt. Jetzt schlafe ich tief und fest, etwas verspannt allerdings, da ich auf keinen Fall meine Füße in den Gang strecken will. Als ich munter werde, erwartet mich ein großes Schauspiel. Wir rasen durch Nebelschwaden und die Sonne geht auf. Welch ein Glück, dass ich rechtzeitig aufgewacht bin! Eucalyptusbäume, Seen und Flussläufe, schwach beleuchtet in einem milden Orange. Starr sitze ich am Fenster und genieße. Nein, jetzt nicht die Kamera herauskamen. Nach fünf Minuten ist der Zauber vorüber. Ein gleißend heller Ball beleuchtet langweilige Häuser. Das Licht im Zug geht ohne Vorwarnung an. Die Speisekarte wird durchgesagt und etliche beleibte Körper bewegen sich in Wagen C zum Buffet, um kurz darauf mit Kaffee und Toast zurück zu torkeln. Wir erhalten noch den Hinweis, unsere Uhren eine Stunde zurückzustellen, Queensland hat seine eigene Zeit. Rubbish, please! Wir geben unseren Müll ab.
Siobhan hatte mich gewarnt. Australische Züge sind nicht pünktlich! Mit drei Minuten Verspätung trete ich in Brisbane auf den Bahnsteig. Eine Touristin fragt mich vor der Anzeigetafel nach dem Flughafenzug. Ich muss mich auch erst orientieren und sie lacht. Wir finden den Fahrkartenschalter. Ich sehe, wie sie am Durchgang zu den Zügen einem Kontrolleur ihr Handy reicht. Er lacht und fotografiert sie mit Gepäck und Bahnhofshintergrund. Ich bin überzeugt, er würde mir auch die Bitte nicht abschlagen, meine Postkarten zu einem Briefkasten zu bringen oder einen Kaffee für mich zu holen. Da ich noch eine Stunde Zeit habe, begebe ich mich selbst zum Café, bestelle cool einen Lateeej, weil ich bei Latte Macchiato immer das Falsche bekam und freue mich zusätzlich über free Wi-Fi. Endlich kann ich den längst geschriebenen Post absenden. Dann noch ein Gang zum bathroom um Zähne zu putzen und Haare zu kämmen. Zur Sicherheit erfolgt auch an diesem Ort die Durchsage der nächsten Zugabfahrten. Kofferschleppen ist überflüssig. Rollbahnen wie auf dem Flughafen oder ein Fahrstuhl bringen mich zum Bahnsteig. Dort sammeln sich die Schüler in ihren verschiedenen Schuluniformen. Dazwischen ein Inder mit Turban, Aborigines und Asiaten. Niemand glotzt doof. Würde mir für Dresden auch gefallen. Mein Zug nach Caboolture fährt auf die Sekunde pünktlich ab. In einer Stunde muss ich wieder umsteigen und nutze die Zeit zum Schreiben. Beim Speichern habe ich auf einmal Internetverbindung. Neben uns auf dem Gleis steht ein Zug mit Wi-Fi access. Leider war der Aufenthalt zu kurz um zu senden. Nächster Zug. Kaum sitze ich, fragt mich jemand nach der Uhrzeit. Ich antworte, darauf ein fröhliches Lächeln, weil mich mein Akzent verrät. Kurzer Smalltalk, woher und wohin. Nun bin ich auf dem Weg nach Nambour. Es macht Spaß, zu reisen. Bin soeben in Mooloolah. Leider konnte ich nicht alle Ortsnamen aufschreiben, es gab noch viel fantasievollere. Mir fällt gerade ein, dass noch niemand meine Fahrkarte sehen wollte. Mein Waggon ist ein quiet carriage :
Please refrain from loud conversations and use of loud musical and mobile devices.
Daneben der Hinweis für die Schüler:
Students on concessional cards must not occupy seats whilst adults are standing.
Brave Schüler. Sie sind leise und okkupieren nicht meinen Sitz. Nächste Station Palmwoods. Das lässt sich sogar übersetzen.
In wenigen Minuten steige ich ein letztes Mal um, dann in den Bus nach Noosa. Auf der Landkarte habe ich mich nur ein kleines Stückchen entlang der Ostküste Richtung Norden bewegt. So in etwa von Dresden nach Berlin. Dabei war ich über acht Stunden unterwegs.
Auch der Bus ist pünktlich. Zum ersten Mal interessiert sich jemand für meine Fahrkarte. Nach einer reichlichen Stunde Busfahrt weiß ich, warum mir vom Bus abgeraten wurde. Mit 120 geht’s über den Highway, auf den kurvenreichen Landstraßen muss man sich festhalten. Keine Chance zum Schlafen. Dafür schon einige Ausblicke auf den Noosa River, der idyllisch durch die Landschaft mäandert, gesäumt von vielen flachen Bauten, hellem Sand und Palmen.
Noosa Junction, halb elf, strahlend blauer Himmel und ich werde von Jutta empfangen. Beim Aussteigen aus dem Bus bedanke ich mich beim Fahrer und wünsche einen schönen Tag. So habe ich mir das bei den Aussis abgeguckt.
Nächster Halt : Peregian Beach in der Nähe von Noosa